Zehn Gebote für den Designer von Prof. Kurt Weidemann
1. Liebe Deinen Beruf wie Dich selbst. Und so, dass Du bei einer Wiedergeburt nichts anderes als diesen Beruf wiederhaben möchtest. Und sei es nur, um das, was Du falsch oder nicht zu Ende gemacht hast, richtig und weiter zu machen. Tausche jeden Tag Deines Lebens für etwas Sinnvolles ein. Er ist unwiederbringlich. Das Heute ist im Morgen nicht zurückzuerhalten. Zukunft und Hoffnung sind eine Aneinanderreihung von Heute. In der Arbeit ist die Chance, sich selbst zu finden, am größten.
2. Versuche nicht, das Rad noch einmal zu erfinden. Zukunft braucht Vergangenheit. Lerne alles aus der kurzen Geschichte dieses Berufes, um wissender und gewisser in die Zukunft zu gehen. Wer meint, auf sich selber gestellt beharren zu müssen, bleibt klein. Die Schultern der Väter tragen gut. Meide es aber, betagten Geisteshaltungen zu vertrauen und Leuten, die zwanzig Jahre Falschgemachtes als Erfahrung verkaufen.
3. Liebe die Kunst und lerne von ihr. Aber halte nicht den Designberuf dafür. Deine Begabung kann Dich zu künstlerischen Qualitäten führen, aber als Beruf ausgeübt, ist sie eine Dienstleistung. Der Künstler macht, was er will, der Designer will, was er macht. Lerne mit den Köpfen Deiner Auftraggeber zu denken und mit den Köpfen der Menschen, die er mit Deiner Arbeit erreichen will.
4. Unsere Berufsarbeit geht nicht nur schnurstracks vom Auge an die Hand. Erwartung, Zweck, Ziel, Erfolg und Gewinn setzen enge Grenzpflöcke. Sie verhindern, dass vagabundierende Kreativität ausufert. In den uns gemäßen Grenzen muss sie als abrufbereite, zielgerichtete und disziplinierte Kreativität zur Wirkung kommen. Nichtanpassung, Offenheit und Toleranz fördern Kreativität. Anpassung macht Dich zweckdienlich. Sinn fängt aber manchmal erst da an, wo der Zweck aufhört.
5. Rede unmissverständlich. Persönlichkeiten können es sich leisten, nahbar und verständlich zu sein. Lerne, Dich nicht zu scheuen, etwas auf die Gefahr hin zu sagen, dass es so verstanden wird, wie es gemeint ist. Gebrauche Deine Augen häufiger als den Zeichenstift. Übe das Zuhören. Frage viel und präzise und rede wenig. Vorläufige Urteile kannst Du erproben, Vorurteile lassen Dich auf der Stelle treten.
6. Verschaffe Dir die Erkenntnis, dass das Bilden einer Gemeinschaft auch das Individuum stärkt. Sie macht sicher im Erfahren eigener Fähigkeiten und Bereitschaften. Ex- und Egozentriker verlernen eine unserer wichtigsten Berufsvoraussetzungen: die NeuGier im unschuldig ursprünglichen Sinne dieses Wortes.
7. Begebe Dich nicht immer auf die Überholspur. Lebe mit Deiner Zeit, aber nicht an der Armutsgrenze des Zeithabens. Nehme Dir Denkfreizeiten, Blödelstunden, Badeunterricht der Seele, und führe sie auch entlang der Rückseite der Gesetzestafeln des Zeitgeistes. Die Fähigkeit zu Spiel und Spaß, zum nicht ernsthaften Handeln macht Dich misstrauisch gegenüber dem Gefühl, stets auf dem richtigen Weg zu sein.
8. Lerne es, treffsicher mit dem Wort umzugehen, denn das schult das Denken und fördert das Erkennen. Ergreifen vermehrt den Besitz, Begreifen fördert Erkenntnis.Unser Beruf erfordert zunehmend Denkleistungen, er muss immer mehr Phänomene, die sich der Visualisierung widersetzen, sichtbar und verständlich machen. Der Fortschritt der Technik ist nur der Fortschritt der Technik. Und sonst nichts. Sei dabei Überzeugungstäter und nicht Wiederholungstäter.
9. Lerne es, mit den Augen so lange zu suchen und zu folgen, bis Du erkennst: Gesetze, Schönheit, Begreifbares, Noch-nicht-Dagewesenes. Das wird Dich hindern, Dich im Tagesgeschäft korrumpieren zu lassen. In Deinem Beruf bist Du ein Umweltschützer der Augen und Ohren, der Bilder und der Sprache. Überlege deshalb, welche Worte und Bilder Du in die Welt setzt und was sie bewirken sollen und werden.
10.Lerne es, vergessene Tugenden in Deiner Arbeit sichtbar werden zu lassen: Sanftmut und Geduld, Kräfte des Gemüts und der Vision, des Vertrauens und der Bescheidung. Bekenne Dich dennoch zu Eliten, denn sie werden in allen Bereichen des Lebens und auch von Dir gebraucht. Nicht Herkunft, Beziehungen oder Vermögen, sondern Charakter, Leistung und verantwortliches Handeln bestimmen ihren Wert. Für Elite gibt es kein Anspruchsdenken, sondern nur eine Bringschuld.